Das Unterrichtskonzept

Die Meistermacherin – Stefanie Meyer-Biss spricht über ihr Konzept

 

Lange bevor das sogenannte ‚Mentalcoaching‘ zum gängigen Begriff wurde, befasste sich Stefanie Meyer-Biss bereits intensiv mit den Prozessen, die sich im Kopf eines Leistungssportlers abspielen, und arbeitete daran, die Erkenntnisse der Sportpsychologie auf den Reitsport zu übertragen – eine Sportart, die eine doppelte Herausforderung für den Reiter wie den Trainer bedeutet, denn hier gilt es ja, zwei Köpfe in Einklang zu bringen. Im Interview gewährt sie Einblicke in ihre Arbeitsweise und ihr Verständnis von guter Teamarbeit.

 

Am Anfang war das Pferd – Frau Meyer-Biss, wie motiviert man einen vierbeinigen Sportler im Training dazu, sich mit Höchstleistungen einzubringen?

 

„Vor allem anderem muss ich das Pferd auf meiner Seite haben. Die Kunst des Reitens besteht für mich darin, eine Einheit mit dem Pferd zu bilden. Pferde lernen situationsbezogen. Das heißt, das Maß an Strafe für Ungehorsam muss für das Pferd nachvollziehbar sein, und die Korrektur misslungener Lektionen muss unmittelbar stattfinden. Mindestens genau so wichtig ist das schnelle Loben für Mitarbeit, auch bei Kleinigkeiten. Das Pferd verbindet gut ausgeführte Lektionen mit einem guten Gefühl, wenn es sofort dafür gelobt wird, und es wird versuchen, es wieder so zu machen. Außerdem spürt ein Pferd genau, ob man eine positive Einstellung zu ihm hat oder nicht. Wichtig ist aber auch, dass Reiter und Trainer das Pferd realistisch einschätzen. Ein Pferd, das nicht für eine Zehn trabt, kann trotzdem bei der Rittigkeit punkten; ein Pferd, das die Laternen austritt, muss nicht unbedingt auch gute Noten in den technischen Lektionen bekommen. Je weiter man sich der Spitze nähert, desto wichtiger ist natürlich beides – Bewegungspotential und die Bereitschaft zur Mitarbeit.“

 

Und der ideale Reiter?

 

„Das gleiche gilt auch für Reitschüler. Das Talent ist zwar wichtig, doch das Entscheidende ist die Einstellung, die Disziplin, der Wille, diesen schwierigen Sport zu lernen. Auch die Kombination von Reiter und Pferd muss passen. Bei Jugendlichen müssen die Eltern dahinter stehen und viel Einsatz zeigen, gleichzeitig aber auch in ihrer Erwartungshaltung besonnen bleiben. Für den Trainer wie für die Eltern muss gelten: Das Zauberwort heißt ‚unbedingte Wertschätzung‘, das heißt, die Wertschätzung ihres Schützlings darf nicht an sportliche Erfolge geknüpft sein. Natürlich soll Leistung eingefordert werden, aber die Person muss von der Sache getrennt werden.“

Pferd, Schüler, Trainer, Eltern – ist das Erfolgsteam damit komplett?
„Der Erfolg hängt im Reitsport von vielen Faktoren ab. Gutes Pferdefutter ist genau so wichtig wie ein guter Schmied, der Tierarzt und – für mich nicht mehr wegzudenken – ein guter Osteopath, der die Pferde regelmäßig überprüft und sie schon vorbeugend behandeln kann, bevor sich Erkrankungen oder Schwachstellen manifestieren. Auch halte ich es für wichtig, die Schüler bei Sitzproblemen von einem Osteopathen kontrollieren zu lassen.“

 

Und wenn diese Zutaten alle stimmen?

 

„Auch wenn dies alles erfüllt ist, gilt es, die Ziele realistisch einzuschätzen. Das mentale Gleichgewicht von Reiter und Pferd ist vielen Störungen unterlegen. Aus sportpsychologischer Sicht weiß man, dass Erfolg zu 70% im Kopf stattfindet. In meiner psychologischen Ausbildung habe ich viel über Persönlichkeitsstrukturen, Wahrnehmungsfähikeit und über die Macht der Gedanken gelernt. Bei allen Menschen, die ehrgeizig sind und etwas erreichen wollen, gibt es auch die Angst zu versagen. Negative Gedanken und Prüfungsängste übertragen sich auf das Pferd und verunsichern es ebenfalls. Mentales Training und Gespräche mit den Schülern und auch mit den Eltern gehören für mich genau so dazu wie eine gut organisierte Turniervorbereitung ohne Zeitdruck und ein optimal auf die Startzeit abgestimmtes Abreiten vor der Prüfung.“

 

Vor dem Turnierstart steht das Training. Was macht für Sie guten Reitunterricht aus?

 

„Im Unterricht ist es mir wichtig, lösungsorientiert zu arbeiten. Wenn ich einem Schüler sage, was er nicht tun darf, muss ich ihm natürlich auch sagen, was er stattdessen tun soll, sonst wird es keinen Lernprozess geben. Wenn ich Unterricht gebe, sitze ich im Kopf mit auf dem Pferd. Die Hilfengebung konstruktiv und akribisch zu erklären – und zwar ununterbrochen und immer wieder –, ist zwar manchmal nervend, aber es dauert nun einmal extrem lange, bis sich die motorischen Fähigkeiten automatisieren. Am besten ist eine solche Basisarbeit natürlich im Einzelunterricht möglich. Sie ist entscheidend für späteres korrektes Aufgabenreiten auf hohem Niveau.“

 

Automatisiert sich auch der Unterricht?

 

„Die Grundprinzipien der Reiterei habe ich natürlich im Kopf, aber ich muss auf jedes Pferd und jeden Reiter individuell eingehen. Und auch der Reiter muss im Kopf beweglich sein und neben seinem Talent auch die Bereitschaft zu realistischer Selbsteinschätzung, zur Selbstkritik und zur Selbstdisziplin mitbringen. Kochrezepte gibt es hier nicht – nur die Erfahrung, dass man in diesem Sport dazulernt, so lange man ihn betreibt. Und das gilt für den Schüler und den Trainer gleichermaßen.“